Hallo liebes Forum,
ich weiß nicht mehr weiter, ich habe schon länger immer im Hinterkopf, dass ich und unsere Familie eine Beratung brauchen, daher ist das jetzt hier mein erster Anlauf oder auch nur ein Teilen unserer Situation. Wir leben im außereuropäischen Ausland seit 2019. Mein mittlerer Sohn ist fast sechs, hat seit der Geburt seiner kleinen Schwester vor drei Jahren schlimme Wutanfälle, fast täglich, mal mehr, mal weniger schlimm.
Gerade ist es wieder sehr, sehr schlimm. Ich habe überall blaue Flecken, Kratzspuren, Beißspuren, er schmeißt mit Gegenständen nach uns, unsere ganze Wohnung ist zerstört, ich weiß nicht mehr weiter. Ich und mein Mann sind einfach am Ende.
Wenn er so schlimm ausrastet, und körperlich aggressiv wird, sind wir schon dazu übergegangen, ihn festzuhalten, weil wir uns schützen müssen. Das ist gar nicht so einfach. Er hat eine unglaubliche Kraft, und ich zweifle jedes Mal an dieser Methode, weil sie mir so brutal vorkommt, es ist aber nicht anders möglich, ohne dass jemand ernsthaft zu Schaden kommt.
Er hat einen Bruder (9), die beiden streiten sich rund um die Uhr, es ist nur eine Frage der Zeit, dass wenn beide im selben Raum sind, bis es explodiert und sie aufeinander losgehen. Dabei kann man gar nicht sagen, von wem das ausgeht. Ich bezeichne es als Teufelskreis, weil der ältere Sohn mit seinen eigenen Problemen dealen muss (meine starke Vermutung ist ADHS, weil wirklich fast alle Symptomatiken
passen, ich aber meine Methoden gefunden habe, wie ich damit umzugehen habe, um es ihm möglichst angenehm zu machen; bei seinem kleinen Bruder ist es natürlich anders, dieser kommt wahrscheinlich nicht so darauf klar, daher diese Verhaltensweise).
Mir ist das Thema richtig unangenehm, weil es so schambesetzt ist, wenn das eigene Kind einen verprügelt, ich fühle mich so allein in dieser Situation und es geht mir sehr schlecht.
Ich möchte ihm so gerne helfen, weil er ein tolles Kind ist und ich weiß, dass er selber unter dieser Wut leidet, ich aber nicht weiß, wie ich ihm helfen kann.
Heute war es so schlimm, dass wir ihm nur noch gedroht haben, dass wir seinen Geburtstag nicht feiern und dass er all das nicht machen darf, worauf er sich freut, wenn er nicht aufhört, zu wüten und Dinge nach uns zu werfen.
Ich hasse diese Drohungen so sehr, und bin überhaupt nicht davon überzeugt, sie sind aber ein Symptom unserer Hilflosigkeit.
Durch die Sprach- und Lesebarriere (japanisch) im Ausland habe ich es bisher nicht geschafft, Beratung zu suchen, weil ich einfach nicht weiß, wo man starten soll. Zudem hier auch kulturell völlig anders auf Kinder (generell Erziehung erscheint mir nach einem anderen Konzept zu gehen) reagiert wird.
Mein Sohn ist in einem japanischen Kindergarten, ich denke, das dies auch damit zu tun hat, dass die Situation so ist, wie sie ist. Er spricht Japanisch und Deutsch, beides nicht perfekt, was natürlich auch zu seiner Frustration beiträgt.
Wir ziehen eventuell in den nächsten Monaten nach Deutschland, das ist aber noch nicht sicher.
Vielen Dank fürs Lesen, ich weiß gar nicht, um was ich bitte.
Hallo Minja,
da steht Ihnen ja wirklich eine große Veränderung bevor. Und ja, die ist für Kinder gar nicht greifbar.
Mittelkinder rebellieren schon gern einmal, zumindest wird es Ihnen oft so zugeschrieben. Zunächst sind sie die Kleinen und dann sind sie weder der Große noch die Kleine. Und um Kleine muss sich besonders gekümmert werden, deswegen ist oft die erste Eifersucht da. Das ändert sich.
Er muss seine Position finden.
Außerdem lernt er ja zunehmend, mit seinen Gefühlen umzugehen. Die Brüder werden auch lernen, Konflikte weniger aggressiv zu klären. Dafür benötigen sie Vorbilder, wo sehen sie, wie Konflikte auch friedlich gelöst werden können. Räumliche Trennung ist im Akutfall völlig ok. Wenn Sie mitbekommen, da geht was los, versuchen Sie mal reinzugehen, ok, was ist los, ich höre zu. Vielleicht hilft es mitunter Druck herauszunehmen.
Loben Sie Lösungen, die sie schaffen.
Jetzt wünsche ich Ihnen aber erst einmal schöne Feiertage.
bke-Claudia Rohde
Liebes Forum,
vielen Dank für die Antworten! Es ist immer so viel los, da blieb nie die Zeit für eine Reaktion.
Die größte Veränderung ist unser bevorstehender Umzug nach Deutschland. Der mittlere Sohn, um dem es im Eingangspost ging, versteht, so glaube ich, noch nicht so recht, was da auf ihn zukommt. Aber das ist auch schwer zu beschreiben und zu begreifen.
Unsere Situation ist momentan etwas entspannter, es gibt keine schlimmen Ausbrüche, ich kann nicht sagen, warum das so ist, Mein Mann ist eigentlich ziemlich präsent, und nicht so oft weg, wie es der Partner von Romyl zu sein scheint. Das stelle ich mir sehr schwer vor. Mein mittlerer Sohn ist sehr auf seinen Papa bezogen, er ist Hauptbezugsperson, während ich dies für meinen ältesten Sohn bin. Vielleicht ist das auch der Grund für diese Rebellion des mittleren? ich weiß es nicht!
Auf jeden Fall scheint er sich und seine Wut im Moment unter Kontrolle zu haben, es bricht nicht mehr so aus ihm heraus und es gab jetzt in ltz zeit auch keine größeren körperlichen Aggressionen gegen uns. Mit seinem Bruder dagegen ist täglich Streit und körperliche Auseinandersetzung angesagt.. da wissen wir nicht, wie das zu lösen ist, au0er räumlicher Trennung.
Viele Grüße und danke für die Lesezeit!
Guten Morgen,
Ihr kurzer Austausch liegt nun schon einige Wochen zurück.
Gibt es Ideen für Veränderungen, oder hat sich sogar etwas verändert?
Es wäre schön, wenn Sie es mit uns teilen würden?
Ganz herzliche Grüße
Claudia Rohde
Guten Morgen Romyl, Hallo Minja,
Danke Ihnen, dass Sie sich offen mitteilen und über so ein für Sie als Eltern belastendes Thema sprechen. Trauen Sie sich auch weiterhin für sich Unterstützung zu suchen und bleiben Sie damit nicht alleine.
Zu Ihren Offenbarungen fallen mir zwei Dinge ein:
Zum ersten die Besonderheit des Alters Ihrer Kinder im Zusammenhang mit den kulturellen Unterschieden.
und
Zweitens die Belastung und Anstrengung vom Ihnen als Mütter aufgrund vom Verhalten der Kinder und fehlenden im Alltag Väter für die Söhne.
Sie haben mein vollstes Verständnis, wenn es an Ihnen zerrt und an die Grenzen bringt.
Bei Ihren Kindern handelt es sich um eine Altersphase, die auf der ganzen Welt als „Autonomiephase“ bei den Kindern in diesem Alter beobachtet wird und wurde. Also: in Deutschland sogenannte „Trotzphase“ und die damit einhergehenden „Trotzanfälle“ gibt es bei den Kindern weltweit! Zudem wurde beobachtet, dass der Umgang mit Trotz, Wut, Aggression, starken Gefühlen bei den Kindern weltweit einige Unterschiede aufweist. Also: das Verhalten und die Bestrebung eigene Autonomie und Willen zu erfahren bei den Kindern ist weltweit gleich. Die Erziehung und Umgang damit jedoch unterschiedlich.
Ich kann gut nachempfinden, dass es Ihnen beiden schwer fällt, sich durchzusetzen: sowohl bei dem Kind, als auch bei der Umgebung. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie sich nicht isolieren oder alleine oder sich und Ihre Kinder andersartig finden. Nein! Stehen Sie zu Ihren Kindern und sammeln Sie Kraft und Mut. Ich lese von Feinfühligkeit Ihrerseits. Wunderbar! Das ist total wichtig vor Ihre Kinder. Jemand muss sie damit begleiten und auffangen, verstehen und damit lieben. Das brauchen sie. Aber auch Grenzen und „Neins“ auch.
Und nun zu dem zweiten Punkt. Wie ich lese, arbeiten Väter viel und sind als Bezugspersonen kaum präsent im Alltag. Mehr Präsenz der Väter würde für das Kind und natürlich auch für Sie als Mütter entlastend und vielleicht auch orientierend und kraftgebend für alle sein. Das wäre schön, wenn die Väter etwas übernehmen würden und erziehen würden. Es geht dabei nicht nur um Begrenzungen und Führung, sondern um Beziehung. Aber auch „Nein“ von Seiten der Väter kann für die soziale Entwicklung der Kinder sehr bedeutend sein. Es geht aber auch um Ausleben von Kraft, Aggression, Muterprobung und Spass. Das würde aus meiner Sicht zum Ausgleich führen. Schade, wenn es nicht geht.
Einen hilfreichen Austausch für Sie und viel Kraft und Zuversicht! (Auch diese Phase geht vorbei!)
Viele Grüsse
bke-Kira-Morgenthal
Hallo Minja,
mich hat dein Beitrag gerade sehr berührt. Unser Kleiner wird bald 6 und wir leben seit über 3 Jahren beruflich bedingt im Mittleren Osten. Die anderen Erziehungsvorstellungen machen mir teilweise zu schaffen. Unser Kleiner ist auch sehr, sehr oft wütend, ich denke zum Teil ist er in der Schule überfordert. Hier werden die Kinder mit 5 eingeschult. In unserem Compound leben seit neuestem sehr aggressive Kinder, die ihn täglich ärgern und provozieren. Er wehrt sich. Und dann ist er der Böse. Ich überlege nun umzuziehen, obwohl wir nur noch 7 Monate hier haben, weil wir dann nach Kroatien "relocated" werden. Neues Projekt. Mein Mann arbeitet sehr viel. Das ist bei euch bestimmt auch so. Ich denke oft, dass die Jungs ab 5 einfach den Vater viel mehr brauchen. Dass wir seinen Geburtstag, der in 3 Wochen ist, nicht feiern, haben wir letztens auch gedroht. Furchtbar, Er ist eigentlich so ein tolles Kind. Aber diese Wut... Ich verstehe das oft nicht, denn wir sind so bemühte und liebevolle Eltern. (Auch uns platzt die Hutschnur manchmal, ja, aber wir entschuldigen uns auch und versuchen wirklich beziehungsorientiert mit ihm umzugehen.)
Auch wenn es in den Situationen nicht wirklich hilft, ist es trotzdem auf eine komische Art beruhigend, dass man nicht die einzige Familie ist, die diese Themen hat.
Sehr geehrte Ratsuchende,
ich bin bke-Claudia Rohde, eine der Moderator*innen hier im Elternforum.
Ihre große Sorge und Not ist gut nachvollziehbar. Ihrem Mittleren fällt es noch sehr schwer mit seinen Gefühlen und Frustrationen umzugehen.
Es muss Ihnen nicht unangenehm sein, erst einmal ist hier alles anonym und dann geht es anderen Eltern auch so.
Wichtig ist, dass Sie sehen, dass er ein toller Junge ist und da braucht er viel Bestärkung. Er muss ja so in der Mitte auch seine Rolle finden, schließlich war er mal der Kleine.
Was können Sie alles an ihm loben, was kann er gut und wann findet dieses Verhalten nicht statt? Kann er denn sagen, was ihn so wütend macht?
Es gibt ja mehrere Faktoren, die dieses Verhalten möglicherweise bedingen und erhalten. Einige haben Sie ja auch schon selbst benannt. Sprache, japanische Kita, Mittelkind, ...
Ich empfehle Ihnen hier zusätzlich eine intensive Mailberatung, da klappt der Austausch noch besser.
bke-Claudia Rohde